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Konfrontation: 50 Jahre nach dem olympischen Massaker

Hans Völkl sagt, dass ihm noch heute übel wird, wenn er das Geräusch von Rotoren hört. Seit der Nacht zum 6. September 1972 hallt der Lärm zweier Bell-UH-1-Hubschrauber noch in seinen Ohren.

Völkl war damals Soldat im Einsatz auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck für die Bundeswehr. Er hatte Nachtwache im Turm. Der 21-Jährige hatte das Drama im Olympischen Dorf, nur 20 Kilometer von München entfernt, im Fernsehen verfolgt. An diesem Morgen betraten palästinensische Terroristen den Raum, in dem sich die israelische Olympiamannschaft aufhielt. Sie erschossen den Gewichtheber Josef Romano und den Wrestling-Trainer Mosche Weinberg und nahmen neun weitere Israelis als Geiseln.

Stundenlange Sorgen im Olympischen Dorf

Am Abend bestiegen acht Angreifer zwei Hubschrauber mit neun Geiseln. Die Forderungen nach Freilassung von Kameraden in Gefängnissen in Israel und Deutschland wurden nicht erfüllt. Nach stundenlangen Verhandlungen gab Hans-Dietrich Genscher, der damalige deutsche Innenminister, den Aktivisten das Wort, Kairo, die Hauptstadt Ägyptens, in getreuer Form zu erreichen. Hubschrauber würden sie zum Flughafen Riem bringen, wo eine Passagiermaschine wartete.

Doch stattdessen brachten die Piloten des Bundesgrenzschutzes die Terroristen mit dem Hubschrauber zum Bundeswehr-Flugplatz Fürstenfeldbruck. Im Gespräch mit der DW erinnert sich Völkl, dass gegen 22.30 Uhr Helikopter durch die Nebelwolken flogen und vor dem Fenster des Wachraums im Erdgeschoss landeten.


Wrack des Bundesdeutschen Grenzschutzhubschraubers auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck nach der erfolglosen Rettungsaktion – (06.09.1972) Foto: dpa/Picture Alliance

Fürstenfeldbruck-Debakel

Nach dem Plan des Polizei-Sonderkommandos würden die Scharfschützen hier die Terroristen töten und die Geiseln frei bleiben. Doch der Plan ging nach hinten los. Auf das eröffnete Feuer reagierten die Aktivisten mit Kalaschnikow-Waffen in der Hand. Die deutschen Sicherheitskräfte zeigten völlige Unerfahrenheit. Sie hatten keine spezielle Ausbildung oder Erfahrung in der Geiselbefreiung. Es gab keine Funkkontakte, um die Einhaltung inmitten der Polizei sicherzustellen. Tatsächlich zielten einige Polizisten auf das von ihren Freunden eröffnete „Friendly Fire“.

Völkl und die anderen Soldaten auf dem Fliegerhorst wurden nicht einmal darüber informiert, dass die Terroristen und ihre Geiseln nach Fürstenfeldbruck kamen: „Als wir Nachtwache hatten, gerieten wir plötzlich in diesen Vorfall. Niemand hatte uns vorher etwas gesagt.“

Als die Kugeln flogen, erinnert sich Völkl, dass er sich in einen Kühlerhohlraum geflüchtet hatte. Eine der abprallenden Kugeln traf einen der Polizisten, die nur wenige Meter von der Wache entfernt postiert waren. Wir hören die Fortsetzung von Völk: „Da wurde Anton Fliegerbauer erschossen. Er lag einfach da. Die Wände waren mit Knochenspritzern und Blut bedeckt. Ihm wurde in den Kopf geschossen.“

Das Friedensfest ist blutig

Schüsse hallten bis Mitternacht durch den Luftwaffenstützpunkt. Dann kam es zu einer heftigen Explosion. Es wurde davon ausgegangen, dass ein Terrorist eine Handgranate auf einen der Hubschrauber warf, in denen die Geiseln gefesselt waren. Als der Tag in Fürstenfeldbruck anbrach, zeichnete sich das erschreckende Bild ab: Neben dem Polizisten Anton Fliegerbauer waren fünf Terroristen ums Leben gekommen. Keine der israelischen Geiseln überlebte.

Mit den Olympischen Spielen in München wollte Deutschland der ganzen Welt sein freundliches Gesicht zeigen. Nur 27 Jahre nach dem Krieg und der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Deutschen sollte diese Anordnung ein „Friedensfest“ werden. Doch auf deutschem Boden wurden wieder Juden getötet, und der deutsche Staat war wieder nicht in der Lage, sie zu schützen.


Einer der arabischen Militanten, die israelische Athleten im Münchner Olympischen Dorf ermordeten – (05.09.1972)Foto: AP

40 Jahre Stille

Nach einer eintägigen Mittel- und Trauerfeier gingen die Olympischen Spiele in München weiter. Eine Entschuldigung von Politik oder Polizei für das Fürstenfeldbruck-Debakel gab es nicht. Es wurde kein Untersuchungsausschuss gebildet, niemand übernahm die Verantwortung für die gescheiterte Operation. Andererseits mussten Angehörige der Opfer jahrzehntelang um den Zugang zu den Ermittlungsunterlagen kämpfen. Sie bemühen sich nach wie vor um eine höhere Entschädigung. Viele Angehörige von Opfern bleiben den Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag in München lieber fern.

„Zeugen und Angehörige von Opfern wurden fast wie grenzüberschreitende Verwandte behandelt“, sagt Ludwig Spaenle. Spaenle ist zuständig für den bayerischen Antisemitismus und stellt sich entschlossen der Offensive. Die Bundesrepublik Deutschland war damals am Terrorismus gescheitert. „Was dann passierte, ist auch ein schweres Staatsversagen“, sagte Spaenle der DW. „Die Leute wollten sehr schnell und ganz bewusst Dinge vergessen. Sie haben zu dieser Wette geschwiegen. Es gab auch keine öffentliche Trauerfeier.“ Allein in den letzten zehn Jahren hat man sich kaum bemüht, die Ereignisse von 1972 aufzuarbeiten, des Attentats und seiner Opfer zu gedenken, kleine Schritte unternommen, um zum Beispiel im Olympiapark ein Mahnmal zu errichten.

Traumata werden unterdrückt

Ob er wie Hans Völkl dieses schwerwiegende Ereignis aus nächster Nähe miterlebte oder nur den blutigen Angriff in Fernsehen und Zeitungen verfolgte; Alle versuchten, so schnell wie möglich zur Normalität zurückzukehren. Am Stützpunkt Fürstenfeldbruck, sagt Völkl, lagen zwar die Trümmer der Helikopter vor dem Tower, aber wenige Tage später gingen die Trainingsflüge weiter, als wäre nichts gewesen. Weit davon entfernt, spirituelle Stärkung zu geben, argumentierten die Ärzte, dass die wirksamste Form der Behandlung gegen diese Art von Schock darin bestand, ein Glas Cognac zu trinken.

„Normalerweise versuchen wir, solche traumatischen Ereignisse zu verdrängen“, sagt Anna Ulrike Bergheim, Vorsitzende des Historischen Vereins Fürstenfeldbruck, die seit Jahren Zeitzeugen dieser blutigen Offensive sucht. Wenn er durch die Korridore des Towers auf dem Luftwaffenstützpunkt geht, kann er erkennen, wer sich in der Nacht des 6. September 1972 in jedem Raum aufgehalten hat.


Särge ermordeter israelischer Athleten in München, wohin sie kamen, um an den Olympischen Sommerspielen 1972 teilzunehmenFoto: Z Films

„Wie haben Ihre Erfahrungen Sie beeinflusst?“

Im Gespräch mit der DW sagte Bergheim: „Die Menschen, die dabei waren, haben diesen Zustrom sicherlich nicht erlebt. Viele Zeitzeugen kommen erst jetzt, aber jetzt können sie darüber sprechen.“ Bergheim sagt auch, dass nicht nur die Angehörigen der Opfer lange vernachlässigt werden. „50 Jahre lang hat sich der Staat nicht darum gekümmert, was in dieser Nacht passiert ist, die Polizisten, die Luftwaffenangehörigen, die Feuerwehrleute, die beim Löschen des Feuers erschossen wurden. Diese Leute wurden 50 Jahre lang nie gefragt: Wie hast du was gemacht? in diesem Moment erlebt haben, beeinflussen Sie?“

Hans Völkl kann ausführlich schildern, was er in der Nacht zum 6. September 1972 erlebt hat, beispielsweise als er die Leichen von André Spitzer und Yossef Gutfreund in Handschellen in Hubschraubern sah. Er versuchte nicht, die Angehörigen der Opfer zu kontaktieren, weil er kein Öl ins Feuer gießen wollte. Auch 50 Jahre nach dem Massaker von München gibt es noch mehr zu sagen.

DW

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