In der 74-jährigen Geschichte des Nordatlantischen Bündnisses sind sich Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten selten so nah am Feind begegnet. Litauens Hauptstadt Vilnius liegt nur 200 Kilometer vom russischen Territorium Kaliningrad entfernt. Seine Reichweite bis zur ukrainischen Grenze beträgt bei russischem Angriff 360 Kilometer. Russlands Verbündeter Weißrussland, wo Wagner-Söldner stationiert sind, liegt nur 35 Kilometer von Vilnius entfernt.
Die litauische Armee und NATO-Verbündete entsenden fast 4.000 Soldaten, um das größte Treffen der Staats- und Regierungschefs in der Geschichte Litauens sicherzustellen. Rechnet man die Polizeikräfte und unbekannten Dienste hinzu, wird eine Sicherheitsarmee von etwa 12.000 Menschen während des zweitägigen Gipfels, der heute und morgen (11.-12.07.) stattfinden wird, keinen Vogel zum Fliegen bringen. Litauische Diplomaten sagen, man müsse auf eine mögliche „Provokation“ durch die Russen vorbereitet sein.
Das Standzentrum in Vilnius wurde eigens für den NATO-Gipfel umgebaut und erweitert. Litauen gibt insgesamt 38 Millionen Euro für die Schanze aus. Gitanas Nauseda, einer der stärksten Befürworter der NATO-Beitrittsbemühungen der Ukraine, möchte, dass das Bündnis vor allem solide Einheit und Solidarität demonstriert.
Was erwartet die Ukraine von der NATO?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besuchte sowohl am Vorabend des Hügels als auch davor viele NATO-Länder, darunter auch die Türkei, und brachte sein Ziel mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Die Ukraine ist bereit für die NATO-Mitgliedschaft. Wir erwarten, wann die NATO für die Ukraine bereit sein wird.“ „
Der Präsident der Ukraine verstand während des Krieges, dass sein Land nicht als Mitglied aufgenommen wurde, bestand jedoch darauf, dass es zumindest eine Sicherheitsgarantie vom Westen brauchte. Die Kiewer Regierung hegt hohe Erwartungen, doch Bundeskanzler Olaf Scholz machte ebenso wie die Chefs anderer großer Nato-Staaten seinen Standpunkt klar: „Eine Beteiligung an unserem Verteidigungsbündnis in irgendeiner Form kann es während des Krieges nicht geben. Eine der Voraussetzungen dafür.“ Mitgliedschaft ist die Abwesenheit ungelöster Grenzkonflikte.“
Auch US-Präsident Joe Biden machte in einem Interview mit CNN vor dem Gipfel klar, dass die Ukraine noch länger warten müsse. Biden sagte, dass der Ukraine zunächst geholfen werden müsse, den Krieg zu gewinnen. Der amerikanische Führer deutete an, dass für die Ukraine, genau wie im Fall Israels, einige Sicherheitsgarantien für die Nachkriegszeit möglich sein könnten.
Welche Diskussionspunkte gibt es?
Es bleibt unklar, welche möglichen Sicherheitsgarantien die großen NATO-Staaten USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland der Ukraine unmittelbar nach dem Krieg geben können. Es wird erwartet, dass das Thema in Vilnius zur Sprache kommt.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dessen Amtszeit um ein weiteres Jahr verlängert wurde, wiederholt unermüdlich die Formel der NATO-Staaten, die Ukraine bei der Abwehr des aggressiven Russlands mit Waffen, Munition und Ausbildung zu unterstützen.
Unter den 31 Delegationen der Mitgliedstaaten gab es jedoch vor dem Gipfel keine Einigung über die Einzelheiten der ukrainischen Politik und neue Verteidigungspläne zur Abschreckung und Abwehr möglicher russischer Angriffe auf NATO-Territorium. Der Oberbefehlshaber der NATO in Europa legte einen fast zweitausend Seiten umfassenden Verteidigungsplan für den Fall einer Invasion Russlands vor. Dieser Plan ist das umfassendste Strategiedokument, das die NATO seit dem Ende des Kalten Krieges in den 1980er Jahren erstellt hat.
Auch Ungarn, das relativ näher an Russland zu stehen scheint, ist nicht sehr entschlossen, die Ukraine zu unterstützen. Frankreich hingegen drängt auf einen schnellen NATO-Beitritt der Ukraine. Während Deutschland und andere westliche Staaten zurückhaltender sind, fordern die baltischen Staaten mehr Waffen und Munition für die Ukraine.
Entscheidend wird sein, wie die NATO-Hauptmacht USA zu kontroversen Themen Stellung bezieht. Während US-Präsident Joe Biden einen sofortigen NATO-Beitritt der Ukraine ablehnt, will er mehr Militärhilfe leisten. Die Türkei steht an der Spitze der Länder, von denen Biden hofft, dass sie die Mitgliedschaft Schwedens unterstützen.
Erdogan: Sie ebnen den Weg für die Türkei in der EU, wir werden den Weg für Schweden ebnen
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab in einer Erklärung vor seiner Abreise nach Litauen zum NATO-Gipfel Hinweise auf die Situation, die er in Vilnius verfolgen wird.
Erdoğan betonte, dass mit dem im letzten Jahr in Madrid unterzeichneten dreiseitigen Abkommen ein Fahrplan für die Anträge Schwedens und Finnlands auf NATO-Mitgliedschaft erstellt worden sei, und sagte: „Finnland hat seinen Verpflichtungen ausreichend nachgekommen und ist im April offiziell Mitglied des Bündnisses geworden.“ Schwedens geht der Prozess weiter. Unsere relevanten Institutionen sind ihre schwedischen Pendants. „Der Fortschritt des schwedischen Mitgliedschaftsprozesses in der NATO hängt von der Erfüllung der in der dreiseitigen Vereinbarung festgelegten Punkte ab“, sagte er.
Erdoğan erinnerte daran, dass die Türkei seit mehr als 50 Jahren an der Tür der Europäischen Union wartet, und sagte: „Fast alle NATO-Mitgliedsländer sind Mitglieder der Europäischen Union. Ich rufe diese Länder auf, die die Türkei an der Tür warten ließen.“ Ich bin seit mehr als 50 Jahren Mitglied der Europäischen Union, aber ich werde gleichzeitig auch in Vilnius rufen: Zuerst ebnen wir den Weg für die Türkei in der Europäischen Union, dann lasst uns den Weg für Schweden ebnen, so wie wir den Weg geebnet haben für Finnland“, sagte er.
Recep Tayyip Erdoğan wies darauf hin, dass er in dieser Hinsicht die gleichen Worte gegenüber dem US-Führer Joe Biden verwendet habe und dass er diese Erklärung in Vilnius abgeben müsse: „Meine Nation hat Erwartungen an uns und wir können diese nicht mehr ertragen. Das war so.“ über 50 Jahre. Wir sind die Türkei, wir sind pleite. „Wir sind kein Türland. Das muss man wissen. Ich werde darüber sprechen, während ich bei den Treffen, die ich am Rande des Hügels abhalten werde, diese Kontakte mit Staats- und Regierungsführern knüpfe.“ ,“ er sagte.
Der Einspruch der Türkei gegen Schweden wurde aufgehoben
Erdogan hatte am Montag vor dem Hügel ein Treffen mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson in Vilnius. Kristersson bat letzte Woche auch im Weißen Haus in Washington um Unterstützung Schwedens. Die Türkei warf Schweden vor, bei seinen Bemühungen gegen die PKK und FETO nicht genügend Anstrengungen unternommen zu haben.
Gemäß der auf dem trilateralen Treffen erzielten Vereinbarung, bei der auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg anwesend war, wird die Türkei Schwedens NATO-Beteiligungsprotokolle an die Große Türkische Nationalversammlung übermitteln. Im Gegenzug wird Schweden den EU-Beitrittsprozess der Türkei umfassend verstärken, einschließlich der Aktualisierung der Zollunion, der Aufhebung von Sanktionen und der Visaliberalisierung. Die Stockholmer Regierung verpflichtete sich außerdem, die YPG/PYD und FETO nicht zu unterstützen.
USA und Deutschland sind mit der Zustimmung der Türkei zufrieden
US-Chef Joe Biden begrüßte die Entscheidung der Türkei, ihren Widerstand gegen die NATO-Mitgliedschaft Schwedens aufzugeben. Laut einer Erklärung des Weißen Hauses sagte Biden, er freue sich darauf, Schweden als 32. Mitglied der NATO begrüßen zu dürfen. Biden fügte hinzu, dass sie bereit seien, mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammenzuarbeiten, um die Verteidigung und Abschreckung in der euroatlantischen Region zu stärken.
Die Zustimmung der Türkei zu Schweden erfreute auch Deutschland. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock teilte auf Twitter mit: „Gute Nachrichten aus Vilnius: Der Weg für die Türkei zur Zustimmung zur NATO-Mitgliedschaft Schwedens ist endlich frei. Unsere gemeinsamen Anstrengungen haben Früchte getragen. Jetzt sind wir 32 Mitglieder, das sind wir.“ Immer mehr im Glauben zusammen. Herzlichen Glückwunsch Schweden!“
Der einzige Einwand gegen Schweden kam jedoch nicht aus Ankara. Auch das ungarische Parlament hat dem Beitritt Schwedens noch nicht zugestimmt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, er hoffe, dass die Lösung des Problems unmittelbar bevorstehe.
DW