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Türkiye-Griechenland: Führt die Brüsseler Straße durch Athen?

Der deutsche Politologe Dr. Ronald Meinardus bewertete gegenüber DW Türkisch die Erwartungen an den 5. Hohen Kooperationsrat Griechenland-Türkei, der in Athen unter der Leitung von Premierminister Kiryakos Mitsotakis und Erdoğan stattfinden wird.

Meinardus bewertete die Entscheidung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, seine harten Äußerungen gegenüber Griechenland mit den Worten zu beenden: „Ich glaube, er hat gesehen, dass seine konfrontative Haltung ihm weder in der Innen- noch in der Außenpolitik nützte“, und erklärte, wie die Europäische Union und Deutschland zur Verbesserung beigetragen hätten Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland. erzählt.


Leitender Experte der European and Foreign Policy Foundation (ELIAMEP) Dr. Ronald Meinardus.Foto: DW/K. Danetzki

Die Fragen, die wir an Meinardus, leitenden Experten der in Athen ansässigen European and Foreign Policy Foundation (ELIAMEP), der auf die deutschen Vermittlungsbemühungen beim türkisch-griechischen Gipfel in Athen aufmerksam gemacht hat, gestellt haben, und seine Antworten lauten wie folgt:

DW Türkisch: Nach langer Zeit der Spannung sitzen Mitsotakis und Erdoğan in Athen wieder am Tisch. Was sind Ihre Beobachtungen zu dieser großen Veränderung des politischen Klimas?

DR. Ronald Meinardus: Die Verbesserung des politischen Klimas zwischen Griechenland und der Türkei kann nur als „radikaler Wandel“ bezeichnet werden. Vor dem Gipfel in Athen gaben führende Politiker beider Seiten fast täglich Erklärungen ab, in denen sie den Wandel der Beziehungen und die Neugestaltung der Beziehungen betonten. Während bis vor Kurzem die Rhetorik von gegenseitigen Vorwürfen bis hin zu offener Feindseligkeit geprägt war, zeigt sich heute, dass beide Seiten eine friedliche Haltung an den Tag legen. Daran wird sich die öffentliche Meinung in beiden Ländern gewöhnen müssen.

Wichtig dabei ist, dass es bei der Änderung nicht nur um die Aussprache geht. Was aus politischer Sicht wertvoller ist, ist die Ruhe auf dem Ägäis-Flughafen. Dies ist ein konkreter Beweis dafür, dass Ankara seine Politik gegenüber Athen geändert hat. Es ist klar, dass beide Parteien den Erfolg der Spitze schätzen. Diplomaten trafen im Vorfeld umfangreiche Vorbereitungen, um eine schreckliche Überraschung am Tag des Gipfels zu vermeiden.


Der griechische Premierminister Kiryakos Mitsotakis und Präsident Recep Tayyip Erdoğan trafen sich während des NATO-Gipfels in Litauen im Juli. Foto: Murat Cetinmuhurdar/Pressebüro des türkischen Präsidenten/REUTERS

Welche internen und externen Dynamiken haben Ihrer Meinung nach diesen Wandel vorbereitet?

Lange Zeit waren die innen- und außenpolitischen Rahmenbedingungen für Fortschritte bei der Verbesserung der Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei nicht so günstig wie heute. Erdoğan und Mitsotakis gingen gestärkt aus den Wahlen im ersten Halbjahr hervor, und in beiden Ländern gibt es keinen nennenswerten Widerstand gegen den Deeskalationsprozess. Darüber hinaus erhalten sowohl Athen als auch Ankara für ihre Annäherungsbemühungen großes Lob aus dem Ausland, besonders bemerkenswert ist der Zuspruch aus Berlin.

Es heißt, dass die deutsche Vermittlung hinter den Kulissen für die Annäherung zwischen Ankara und Athen von zentraler Bedeutung sei. Was erwartet die Bundesregierung von diesem Hügel?

Der deutsche Botschafter in Athen, Andreas Kindl, sagte kürzlich, Berlin verfolge das türkisch-griechische Treffen im wahrsten Sinne des Wortes mit „positiver Spannung“. Es gibt berechtigte Gründe, dass die Bundesregierung über die Durchführung dieses Gipfels erfreut ist. Wie kaum ein anderes Land hat sich Deutschland in den letzten Jahren bei seinen Vermittlungsbemühungen zwischen Griechenland und der Türkei bemüht. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verstärkte Berlin in Abstimmung mit Washington seine Bemühungen. Es ist wichtig, dass dies im Einklang mit Washington geschah. Ministerpräsident Olaf Scholz sagte diesen Sommer: „Wir sind entschlossen, für gute Beziehungen zwischen den Parteien in der Ägäis zu sorgen und sind dabei stets Partner.“ Darüber hinaus spielten die Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei eine wichtige Rolle bei den Berlin-Besuchen des griechischen Premierministers Mitsotakis und des damaligen Präsidenten Erdoğan. Bei dieser Gelegenheit übermittelte die Kanzlerin den Parteien, dass Berlin die türkisch-griechische Annäherung auch in Zukunft aktiv unterstützen werde.


Bundeskanzler Olaf Scholz teilte seine Erwartungen hinsichtlich der türkisch-griechischen Annäherung auch mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan, den er am 17. November in Berlin empfing. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture Alliance

Bis zu den Wahlen in der Türkei im Mai hatte Präsident Erdoğan Griechenland mit Aussagen wie „Wir könnten in einer Nacht plötzlich kommen“ und „Wenn sie nicht stillstehen, werden wir sie schlagen“ ins Visier genommen. Zu seinem jüngsten Besuch in Athen sagte er: „Wir versuchen, die Anzahl der Freunde zu erhöhen und die Anzahl der Feinde zu verringern. Es ist nicht richtig, dass die Kluft zwischen der Türkei und Griechenland so gering ist und dass zwei Länder mit einer solchen Geschichte und einem solchen Prestige immer noch miteinander auskommen.“ Stimmen, die Feindseligkeit schüren.“ Was könnte Ihrer Meinung nach hinter dieser großen Veränderung stecken?

Es ist also nicht das erste Mal, dass wir Erdoğans Politikwechsel erleben. Letztlich weiß nur er, was ihn dazu bewogen hat. Meiner Meinung nach hat Präsident Erdoğan gesehen, dass seine konfrontative Haltung gegenüber Griechenland im vergangenen Jahr ihm weder in der Innen- noch in der Außenpolitik geholfen hat. Ich sage konfrontativ, weil die aggressive Rhetorik des letzten Jahres nur so beschrieben werden kann. Eine in diesem Sommer durchgeführte öffentliche Meinungsumfrage ergab, dass fast zwei Drittel der Menschen in der Türkei der Meinung sind, dass Streitigkeiten mit Griechenland durch Dialog gelöst werden sollten. Darüber hinaus hat die EU erst vor wenigen Tagen klar erklärt, dass Ruhe an der türkisch-griechischen Front eine Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Beziehungen der Türkei zur EU sei. Mit anderen Worten: Für Ankara führt der Weg nach Brüssel über Athen. Diese Gleichung veranlasste Erdoğan wahrscheinlich zu Kompromissen und einer Überprüfung seiner Politik.

Obwohl sich Erdoğans Haltung gegenüber Griechenland geändert hat, scheinen seine Skepsis und seine Wut gegenüber den USA nicht nachgelassen zu haben. Es ist bekannt, dass Ankara insbesondere die zunehmende militärische und strategische Zusammenarbeit Washingtons mit Athen und die zunehmende US-Militärpräsenz in Griechenland beunruhigt. Während Erdoğan kürzlich erklärte, dass er hoffte, mit seinem Besuch in Griechenland eine neue Ära in den Beziehungen einzuläuten, sagte er: „Einige Leute, insbesondere die USA, versuchen, uns gegeneinander aufzuhetzen.“ Was steckt Ihrer Meinung nach hinter Erdoğans Wahrnehmung oder Aussage?

Die Liste der Meinungsverschiedenheiten zwischen Ankara und Washington ist lang, und diese Liste scheint immer länger zu werden. Griechenland ist nur eines der umstrittenen Themen in dieser langen Liste. In der US-Regierung und im Kongress gilt Erdogan als unzuverlässiger Verbündeter, und seine multidimensionale Außenpolitik wird von vielen Amerikanern nicht geschätzt. Seit seiner Machtübernahme im Jahr 2019 hat Mitsotakis keinen Zweifel am Engagement Griechenlands für das westliche Bündnis gelassen. Athen und Washington betonen bei jeder Gelegenheit, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern noch nie so eng waren wie heute. Das sehen wir auch in der Zusammenarbeit im militärischen Bereich. Ich kann nicht sagen, dass Washington „versucht, die Griechen gegen die Türken auszuspielen“. Es ist jedoch ganz klar, dass Washington Erdogan signalisiert, dass die USA einen Plan B haben, und dieser Plan ist Griechenland.


Auch in Griechenland verstärkten die USA ihre militärische Präsenz und verstärkten dort in den letzten Jahren die strategische Zusammenarbeit. Foto: Sakis Mitrolidis/AFP

Während sich die Beziehungen der Türkei zu ihren westlichen Verbündeten in den letzten Jahren verschlechtert haben, hat sich die Rolle Griechenlands in der Region sowohl militärisch als auch wirtschaftlich gestärkt. In der Vergangenheit achteten europäische Länder wie die USA und Deutschland darauf, in ihren Beziehungen zu den NATO-Mitgliedern Türkei und Griechenland eine Politik der Stabilität zu verfolgen. Diese Art von Stabilität ist nicht mehr zu beobachten, es ist klar, dass sich die Situation zugunsten Athens verändert hat. Was ist Ihrer Meinung nach die Ursache hierfür?

Dies war vor allem auf den Wandel in der Türkei und insbesondere auf die Veränderung der türkischen Außenpolitik zurückzuführen. Wenn wir das Gesamtbild betrachten, sehen wir, dass wir Zeugen des allmählichen Zerfalls der alten internationalen Ordnung sind. Und die Türkei gehört zu den aufstrebenden Regionalmächten, die die alte Ordnung und indirekt auch die US-Hegemonie herausfordern. Dies ist der strukturelle Grund, der zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen Ankara und Washington geführt hat. Die USA hatten vor dem Gaza-Krieg mit dem Rückzug aus der Region begonnen. Für die türkisch-griechischen Beziehungen bedeutet dies, dass Berlin eine Vermittlerrolle übernimmt. Washington beschäftigt nun größere geostrategische Probleme wie den Krieg in der Ukraine und die Mitgliedschaft Schwedens in der NATO. Selbst in diesen Bereichen gibt es bereits genug Spannungen zwischen Ankara und Washington, und unsere amerikanischen Kollegen sagen, dass die türkisch-amerikanischen Beziehungen selten so schlecht waren wie heute.

Kürzlich wurden Schritte unternommen, um die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland abzubauen. Zu welchen Themen sind also konkrete Fortschritte auf dem Athener Gipfel zu erwarten, bei dem eine neue Seite der Beziehungen aufgeschlagen werden soll?

Es ist ein sehr wichtiger Schritt, dass die Regierungen beider Länder vereinbart haben, eine neue Seite in den Beziehungen aufzuschlagen. Es ist zu hoffen, dass sich beide Parteien in den letzten zehn Monaten an die Vereinbarung, auch Moratorium genannt, gehalten und alle Schritte vermieden haben, die die Spannungen erhöhen würden. Mit den auf verschiedenen Ebenen diskutierten und ausgehandelten Projekten zielen die beiden Regierungen vor allem auf ein Ziel: die Vertiefung der bilateralen Beziehungen. Am Donnerstag werden eine Reihe von Vereinbarungen unterzeichnet. Das wichtigste Abkommen wird im Bereich der Bekämpfung unsystematischer Migration unterzeichnet. Unterdessen werden große Probleme wie die Souveränitätsrechte in der Ägäis vorerst in den Hintergrund gerückt. Die vereinbarte Strategie lautet wie folgt: Zunächst werden Fortschritte bei Themen erzielt, die nicht sehr kontrovers sind, und ein Umfeld des Glaubens wird gefördert. Anschließend werden die schwierigen Probleme besprochen, bei denen die Situationen beider Parteien bekanntermaßen sehr weit voneinander entfernt sind.


Während Erdoğans Besuch in Athen wird voraussichtlich eine Vereinbarung zwischen den Parteien zur Bekämpfung unsystematischer Migration unterzeichnet. Foto: Mirac Kaya/Anadolu/picture Alliance

Glauben Sie, dass es auf der Tagesordnung steht, dass die Parteien ihre Streitigkeiten vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen?

Nach Ansicht der Griechen ist dies die idealste Lösung. Es ist bekannt, dass Ankara es vorzieht, Fragen im Zusammenhang mit Souveränitätsproblemen durch Verhandlungen zu lösen. Außerdem ist es nicht so einfach, nach Den Haag zu gehen. Die Parteien müssen sich zunächst darauf einigen, über welche Wette die Richter entscheiden sollen. Dies kann viele Jahre dauern. Es wäre für beide Parteien von größtem Interesse, sich in dieser Zeit darauf zu einigen, als gute Nachbarn aufzutreten und ihre Beziehungen auf verschiedenen Ebenen auszubauen. Die Anfänge dieser Strategie sind heute erkennbar.

Sie haben gesagt, dass in Athen ein Abkommen zur Bekämpfung der unsystematischen Migration unterzeichnet wird. Was sieht diese Vereinbarung vor?

Ja, auch in der griechischen Presse gab es Neuigkeiten zu diesem Thema. Es wird angegeben, dass die zuständigen Ministerien vereinbart hätten, dass ein griechischer Vertreter in Izmir und ein türkischer Vertreter auf der Insel Lesbos arbeiten würde. Im Rahmen des politischen Teils dieses Abkommens ist vorgesehen, türkischen Touristen, die bestimmte griechische Inseln besuchen möchten, Visaerleichterungen zu ermöglichen. Diese Beispiele zeigen auch, dass bei vorhandenem politischen Willen tatsächlich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit in vielfältigen Bereichen zwischen den beiden Ländern der Ägäis besteht.


Der deutsche Experte Dr. Meinardus wies darauf hin, dass der Weg der Türkei in die EU über Athen führt. Foto: Epa_Tolga Bozoglu/dpa/picture Alliance

Sie haben es übrigens auch erwähnt, es scheint, dass Ankaras Weg in die EU nun über Athen führt, und um seine Beziehungen zur EU zu verbessern, braucht Erdogan den griechischen Premierminister, zu dem er letztes Jahr gesagt hat: „Das gibt es.“ So einen Menschen wie Mitsotakis gibt es für mich nicht mehr. Diese Botschaft kommt auch in dem neuen Fahrplan zum Ausdruck, den der Europäische Rat letzte Woche für die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU angekündigt hat …

Ja, der Europäische Ausschuss hat unmissverständlich klargestellt, dass er die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei von der Haltung Ankaras gegenüber Griechenland und seiner Haltung im östlichen Mittelmeerraum abhängig machen will. Diese vom Ausschuss klar zum Ausdruck gebrachte Haltung und der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts werden auch bei den Gesprächen in Athen eine Rolle spielen. Unterdessen erregte Erdoğans Aussage gegenüber Journalisten vor seinem Besuch in Athen, dass er mit Mitsotakis sowohl über die bilateralen Beziehungen als auch über die Beziehungen der Türkei zur EU sprechen wollte, meine Aufmerksamkeit. Das ist eine sehr auffällige Aussage. Denn dies zeigt, dass Erdogan den griechischen Ministerpräsidenten auch als Vertreter der EU oder, was vielleicht interessanter ist, als Verbündeten in seinem Bemühen um eine stärkere Akzeptanz türkischer Interessen in Europa akzeptiert.

D.W.

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