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Sachsen im Schatten der AfD: Deutschlands rechter Flügel

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Tino Chrupalla braucht Polizeiverteidigung, wenn er in die deutsche Hauptstadt Berlin geht. Für viele ist er der Anführer einer rechtsextremen Partei, die mit rassistischen Parolen die Bevölkerung gegen Einwanderer aufhetzt und deren Mitglieder mit dem Nationalsozialismus sympathisieren oder nicht dagegen vorgehen.

Doch als Chrupalla in ihrer sächsischen Heimatstadt Oberlausitz ankommt, wird sie freundlich empfangen. Auch während der Pandemie zögern die Menschen nicht, ihm die Hand zu geben. Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren gewann seine Partei Alternative für Deutschland (AfD) im Wahlkreis Görlitz mit über 32 Prozent der Stimmen. Nun will die Partei denselben Erfolg wiederholen.

Wir begleiten Chrupalla bei ihrem Wahlkampf in der Kleinstadt Löbau, etwa 35 Kilometer nördlich des tschechischen Endes. Er plaudert mit den Wählern in seiner Kabine unter einem riesigen Sonnenschirm.

Die Wahlurnen in Deutschland öffnen vier Wochen vor dem Wahltermin. Ab dem 25. August begannen die Wähler sowohl an der Urne als auch per Brief zu wählen. Wenige Wähler fallen in den Wahlkabinen in Löbau auf. Heiner Putzmann, einer der Einwohner der Stadt, kommt zum Wahllokal und beginnt zu erklären: „Ich bin 1952 in einem Haus geboren. Es war eiskalt in diesem Winter.“ Er sagt, das Leben in der Oberlausitz sei ziemlich gut: „Prachtvolle Berge, klare Flüsse, anständige Städte … Deshalb leben wir hier und denken nie daran, in eine Großstadt abzuwandern. Aber die Infrastruktur ist schlecht. Es gibt auch viel Diebstahl, insbesondere Autodiebstahl.“ Mit diesen Worten übersetzt Putzmann wörtlich die Gefühle vieler Bewohner der Region.

In den Augen seiner Landsleute ist Chrupalla ein Handwerksmeister mit eigener Färberei, der sich stark für die einfachen Leute einsetzt. Also einer von ihnen. Der AfD-Politiker, der sagte: „Arbeiter und Produzenten fühlen sich politisch nicht mehr vertreten“, trifft mit diesen Worten die Menschen in der Region an ihrem empfindlichsten Punkt.

Kein Platz für Flüchtlinge und Gleichstellungssprache

Black Lives Matter, geschlechtergerechte Sprache, LGBTI+ Rechte, die Lage in Afghanistan und Syrien… Diese und ähnliche Diskussionen auf der Tagesordnung interessieren die Oberlausitzer nicht. Sie sind höchstens wie „Feindbilder“. „Politiker in Berlin und Dresden sollten aufhören, das Geld ihrer eigenen Bürger ins Ausland zu transferieren, und sich um ihre eigenen Leute kümmern“, fordert Chrupalla.

Die Region Oberlausitz ist von der Vergangenheit bis zur Gegenwart durch den fortschreitenden gesellschaftlichen Wandel geprägt. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs siedelten sich hier Flüchtlinge aus dem Osten an. Nach dem Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik, die ein sozialistisches System angenommen hatte, begann in der Region ein großer wirtschaftlicher Zusammenbruch. Infolgedessen verschwand der Geist der sozialen Solidarität. Othering, Rassismus und soziale Eifersucht wurden zur dominierenden Jugendkultur. Mit der schnellen Abwanderung junger und gut ausgebildeter Menschen aus der Region senkte die Mehrheit der rechtsradikalen Linken das soziale Niveau weiter. Heute ist die Oberlausitz eine der infrastrukturschwächsten Regionen Deutschlands. Hier ist auch die Hochburg rechter Parteien wie der AfD.

Während der Wahlkampf in Chrupalla Löbau läuft

Bemühungen zur Förderung von Demokratie und Solidarität

Bernd Stracke kämpft seit Ende der 1990er Jahre gegen rechtsextreme Bewegungen. Damals zog er freiwillig in die Oberlausitz: „Meine Familie und Freunde waren schockiert. Sie fragten, wie das möglich sei“, sagt er. In seiner Jugend Punkmusiker, wurde Stracke zu DDR-Zeiten als „Staatsfeind“ gebrandmarkt. Die Oberlausitz galt schon damals als das „Tal der Unwissenden“.

Heute berät Stracke den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen. Eine seiner wertvollsten Aufgaben ist es, Bürger und Politiker zusammenzubringen. Denn viele Städte, Gemeinden und Familien stecken mitten im gesellschaftlichen Aufbruch und kehren der Demokratie den Rücken. Stracke bemüht sich um die Wiederherstellung des sozialen Zusammenhalts. Er beschreibt es als „interne Revolution“ und sagt, dass Veränderungen nicht von außen diktiert werden können: „Das sehen wir in der Tat auch in Afghanistan. Das wird nicht funktionieren. Das hier zu importieren wird nicht funktionieren.“

Bernd Stracke

Bernd Stracke glaubt an die Kraft des Dialogs; dazu gehört auch der Umgang mit der AfD: „Man braucht auch eine vernünftige Toleranz, um andere Meinungen zu ertragen als man denkt.“

Die Oberlausitz ist eine Region voller Gegensätze: Manche Städte wirken noch wie Überbleibsel aus der alten DDR-Zeit. Andererseits ziehen einige Städte wie Görlitz einheimische und ausländische Touristen wie ein Magnet an. Die Stadt wurde während der Bombardierung des Zweiten Weltkriegs übersehen und so blieb ihre historische Struktur weitgehend erhalten. Die riesigen Straßen ehemaliger Adelsresidenzen werden auch von Filmproduzenten in Hollywood häufig als „natürliche Backstage“ genutzt. Hier drehte zum Beispiel der weltberühmte Regisseur Quentin Tarantino den in der Nazizeit spielenden Film „Inglorious Basterds“. Die Einwohner der Stadt nennen ihre Stadt stolz „Görliwood“, da hier viele Kinoproduktionen stattfinden.

Rechtsextremer Wahlkampf

Wir sind im Gasthof Kretscham in Lawalde. Tino Chrupalla setzt hier seinen Wahlkampf fort. Eine Menge von etwa 300 Menschen versammelten sich. Hier trägt niemand Masken. Da wir uns an die Masken- und Abstandsregeln halten, zielen wir auf zynische und sogar feindselige Blicke. Ein junger Mann steht an der Tür der Halle. Dass sie sehr rechts steht, sieht man an ihrem Outfit. Der Mann neben ihm hat Totenkopf-Tattoos auf den Armen. Fast alle grüßen ihn. Hier kennt sich jeder schnell.

Mehr als einer der Gäste ist im Ruhestand. Auffallend sind auch solche mit Totenkopf-Tattoos in der Mitte, solche mit Symbolen der Nazizeit oder solche mit um den Hals hängenden Halsketten mit Patronenhülsen. Zwischen Rechten und Rechtsextremen herrscht ein reger Austausch. Chrupalla sieht es nicht als notwendig an, zwischen dem äußerst rechten Flügel der Partei und der Mitte eine willkürliche Distanz herzustellen. Denn er weiß, dass es dieser Flügel ist, der ihn an die Spitze seiner Partei gebracht hat. Wenn klassische deutsche Tugenden sagen, dass Entscheidungen zur Abschiebung von Ausländern hinausgezögert werden und eine Diktatur in der Welt naht, hallt ein starkes „Ja“ durch den Saal.

Chrupalla, die mit ihrer pragmatischen Einstellung den Aufstieg an die Spitze der AfD geschafft hat, gibt ihren Wählern in der Oberlausitz das letzte Versprechen: Ziel der AfD ist es, ab 2025 einer der Machtpartner in Deutschland zu sein!

© Deutsche Welle Englisch

Hans Pfeiffer

DW

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